Immer wieder lese ich auf Social Media Kommentare wie: „Zöliakie ist doch nur so eine Modediagnose!“ Oft kommen solche Aussagen von Menschen, die selbst keine Einschränkungen bei ihrer Ernährung haben und sich vielleicht über das „glutenfreie Zeug“ im Supermarkt lustig machen. Als jemand, der seit 2013 mit der Diagnose Zöliakie lebt und sogar zeitweise eine Selbsthilfegruppe geleitet hat, kann ich nur sagen: Diese Aussagen zeigen, wie wenig viele über Zöliakie wissen – und wie viel Aufklärungsarbeit es noch braucht.
Was ist Zöliakie?
Zöliakie ist keine Allergie und auch keine einfache Unverträglichkeit. Es ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem Gluten – ein Protein in Getreidesorten wie Weizen, Roggen und Gerste – als Bedrohung ansieht. Schon kleinste Mengen können die Dünndarmzotten schädigen, die für die Aufnahme von Nährstoffen verantwortlich sind. Die einzige „Therapie“ ist eine streng glutenfreie Ernährung. Medikamente oder Heilung? Die gibt es zur Zeit nicht.
Ein „Glutenunfall“ ist für uns Betroffene nicht einfach ein schlechter Tag. Er kann Durchfall, Erbrechen, grippeähnliche Symptome und Schlafstörungen auslösen – oft über Wochen hinweg. Ignoriert man die Ernährung dauerhaft, drohen Langzeitschäden wie Osteoporose oder sogar Darmkrebs. Das ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte.
Warum glutenfrei nicht gleich gesund ist
Glutenfreie Ernährung wird von manchen als „gesund“ oder „besser“ angepriesen. Aber wer sich die Zutatenlisten genauer ansieht, merkt schnell: Viele glutenfreie Produkte sind stark verarbeitet. Bindemittel, Zucker und Zusatzstoffe sorgen dafür, dass Brot und Gebäck genießbar sind. Für uns Betroffene sind diese Produkte oft die einzige Option. Für alle anderen? Keine Verbesserung.
Dann gibt es auch die, die Gluten pauschal verteufeln. Sicher, es gibt Studien und Meinungen, die Gluten kritisch betrachten, aber die Mehrheit der Forschung sieht darin kein Problem – außer für Menschen mit Zöliakie oder einer diagnostizierten Unverträglichkeit.
Warum Zöliakie als Modediagnose wahrgenommen wird
Die Sichtbarkeit von Zöliakie hat in den letzten Jahren zugenommen, und das ist gut so. Es gibt mehr Diagnosen, mehr Medienberichte und – endlich – mehr Produkte in Supermärkten und Restaurants. Aber genau das führt auch zu dem Eindruck, dass Zöliakie eine „Modeerscheinung“ sei.
Dabei zeigt die Forschung: Rund 1 % der Bevölkerung in Deutschland ist betroffen, die Dunkelziffer ist hoch, und einige Schätzungen gehen inzwischen sogar von bis zu 3 % aus. Lange Zeit war Zöliakie eine kaum bekannte Krankheit – sowohl in der Bevölkerung als auch bei Ärzt*innen. Ich selbst habe drei Jahre auf meine Diagnose gewartet, andere kämpfen zehn Jahre oder länger mit unklaren Symptomen.
Ein weiteres Problem: Zöliakie ist ein Chamäleon unter den Krankheiten. Neben den klassischen Symptomen wie Durchfall oder Bauchschmerzen gibt es unspezifische Anzeichen wie Zahnentmineralisierung, Rückenschmerzen oder sogar psychische Symptome. Kein Wunder, dass viele Ärzt*innen nicht direkt an Zöliakie denken.
Der Alltag mit Zöliakie
Ein Leben mit Zöliakie bedeutet, jeden Tag aufmerksam zu sein. Ich kann nicht einfach spontan in eine Bäckerei gehen, und beim Einkaufen brauche ich deutlich länger, weil ich jede Zutatenliste prüfen muss. Selbst Restaurants, die glutenfreie Optionen anbieten, sind nicht immer sicher – oft fehlt es an Wissen über Kreuzkontamination.
Was viele nicht verstehen: Für uns ist glutenfrei keine Wahl, sondern eine Notwendigkeit. Die Produkte im Supermarkt sind kein Luxus, sondern unsere Lebensgrundlage.
Fazit
Zöliakie ist keine Modediagnose. Sie ist eine ernsthafte Autoimmunerkrankung, die das Leben der Betroffenen grundlegend verändert. Dass mehr Diagnosen gestellt und glutenfreie Produkte sichtbarer werden, sollte uns freuen – nicht zu Missverständnissen führen. Denn hinter all dem stehen Menschen wie ich, die jeden Tag mit einer Krankheit und den damit verbundenen Einschränkungen leben, die keine Pause macht.